Folge 88: „Was passierte mit Hamburger Sozialdemokrat*innen in der NS-Zeit, Hans-Peter Strenge?“

Shownotes

August Bebel nannte Hamburg einst die „Hauptstadt des Sozialismus“, doch auch hier kamen die Nazis 1933 an die Macht und Sozialdemokrat*innen wurden verfolgt. Dies bedeutete Haft, Untergrund, Exil und manchmal auch Tod – und schließlich für einige die Rückkehr in die Hansestadt und ihre Politik nach 1945. Über diesen Aspekt der nationalsozialistischen Herrschaft und darüber, warum man in den 1950ern und 1960ern nicht in jedes Taxi stieg, haben wir mit Hans-Peter Strenge, Staatsrat a.D. und Sprecher der Hamburger Arbeitsgruppe von „Gegen Vergessen für Demokratie e.V.“, in der aktuellen Folge von Friedrichs Flaschenpost gesprochen. Es geht um Verfolgung und die Schwierigkeit, Widerstand gegen das NS-Regime zu leisten. Aber wir gucken auch auf heute und darauf, warum die Arbeit von „Gegen Vergessen“ und zivilgesellschaftliches Engagement insgesamt für Demokratie so wichtig sind.

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00:00:02: Friedrichs Flaschenpost, der Politik-Podcast aus Norddeutschland von der Friedrich-Ebert-Stiftung.

00:00:07: Herzlich willkommen zu Friedrichs Flaschenpost, dem Politik-Podcast aus Norddeutschland

00:00:12: von der Friedrich-Ebert-Stiftung.

00:00:14: Vielen Dank, dass ihr eingeschaltet habt, sagt am Mikrofon Stine Klapper aus

00:00:18: dem Regionalbüro Nord der FES.

00:00:20: Dieses Jahr gedenken wir 80 Jahren Befreiung. Es sind schon 80 Jahre und zugleich

00:00:26: nur 80 Jahre, seitdem der Zweite

00:00:28: Weltkrieg und die Herrschaft des Nationalsozialismus beendet wurden.

00:00:31: Schon, weil es immer weniger Zeitzeug*innen gibt und wir aus Umfragen wissen,

00:00:36: dass sich gerade die jüngeren Generationen nicht mehr so sehr mit dem Thema auskennen.

00:00:40: Nur, 80 Jahre, weil historisch gesehen das kaum eine Zeit ist,

00:00:44: bedenkt man die Dimension der Verbrechen und des Horrors, den die Nazis gebracht haben.

00:00:48: In unserem Politik-Podcast für Norddeutschland wollen wir heute über einen ganz

00:00:52: bestimmten Aspekt dieser dunkelsten Zeit des Landes sprechen,

00:00:55: und zwar über die Verfolgung und den Widerstand von SozialdemokratInnen in Hamburg.

00:01:00: Als Partei und als Bewegung sind sie bald in das Visier der machtübernehmenden

00:01:05: Nationalsozialisten geraten, versuchten teils noch dagegen anzukämpfen,

00:01:09: sind teils in den Untergriff gegangen und geflohen und wurden teils inhaftiert

00:01:13: und sind dem Regime zum Opfer gefallen.

00:01:15: Über diese Geschehnisse möchte ich heute sprechen mit einer Person,

00:01:19: die sich damit auskennt.

00:01:21: Und zwar mit Herrn Hans-Peter Strenge, Staatsrat außer Dienst und Sprecher der

00:01:25: regionalen Arbeitsgruppe von Gegenvergessen für Demokratie e.V.

00:01:29: Moin, Herr Strenge. Moin.

00:01:32: Herr Strenge, Sie sind Jurist, waren Bezirksamtsleiter, also sozusagen Bezirksbürgermeister

00:01:36: in Altona von 1984 bis 95 und von 96 bis 2001 waren Sie Staatsrat in der Hamburger

00:01:44: Justizbehörde und im Senatsamt für Bezirksangelegenheiten.

00:01:47: Sie sind vielfältig ehrenamtlich engagiert in der evangelischen Kirche und anderen

00:01:51: Organisationen, aber eben auch bei Gegenvergessen als Sprecher der Regionalgruppe.

00:01:56: Gegen Vergessen macht historische Erinnerungsarbeit zum Nationalsozialismus

00:02:00: und auch zur SED-Diktatur und verbindet diese Arbeit mit dem Engagement für

00:02:04: eine demokratische Zivilgesellschaft heute.

00:02:07: Darüber möchten wir sprechen und ich freue mich sehr, dass Sie,

00:02:10: Herr Strenge, heute hier sind. Herzlich willkommen.

00:02:13: Ja, vielen Dank. Ich freue mich auch. Herr Strenge, holen Sie uns doch bitte einmal ab.

00:02:18: Wie war denn die Ausgangslage für die Sozialdemokratie und die politische Linke

00:02:22: überhaupt am Ende der Weimarer Republik hier in Hamburg? Also die SPD in Hamburg

00:02:27: hatte ja eine starke Tradition.

00:02:29: August Bebel hat man gesagt, es ist die Hauptstadt des Sozialismus.

00:02:33: Wie können wir uns die Situation vorstellen? Die können wir uns so vorstellen,

00:02:37: dass die Senate von 1919 bis 1933 immer auch sozialdemokratische Senatoren,

00:02:47: zum Teil auch den ersten Bürgermeister gestellt haben.

00:02:52: Ab 1931 wurde es schwieriger.

00:02:56: Da fand die vorletzte Bürgerschaftswahl statt und die NSDAP war stärkste Partei in der Bürgerschaft,

00:03:05: die SPD zweitstärkste und trotzdem haben die bürgerlichen Parteien und die SPD

00:03:11: gemeinsam nicht etwa einen Nationalsozialisten zum Parlamentspräsidenten gewählt,

00:03:16: sondern den Rechtsanwalt Herbert Ruscheweyh.

00:03:20: Einen SPD-Mann.

00:03:21: Das blieb auch nach der nächsten Wahl 1932 so.

00:03:25: Die Machtübernahme Hitlers am 30.

00:03:30: Januar 1933 wirkte sich zunächst in Hamburg noch gar nicht aus.

00:03:34: Der Senat war geschäftsführend im Amt.

00:03:37: Das ergab sich aus der Verfassung und er konnte nur gestürzt werden,

00:03:41: wenn man mit Mehrheit einen neuen Senat wählte.

00:03:45: Aber KPD auf der einen Seite und NSDAP auf der anderen Seite hatten zwar gemeinsam

00:03:51: die Mehrheit, aber natürlich keine gemeinsamen Kandidaten.

00:03:54: Erst nach der Reichstagsbrandverordnung am 28.

00:03:57: Februar 1933 änderte sich das schlagartig, denn nun hatte die Reichsregierung

00:04:04: ein Instrument in der Hand.

00:04:07: In den Ländern Kommissare einzusetzen und Landesregierungen außer Amt zu bringen,

00:04:13: wenn dort die öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährdet seien.

00:04:17: Das wurde natürlich behauptet, das sei in Hamburg auch so.

00:04:20: Und dann muss man sich in den März-Tagen, Anfang März 1933 eben vorstellen,

00:04:26: dass schrittweise der SPD oder der SPD-geführte Senat außer Gefecht gesetzt wurde.

00:04:34: Das Hamburger Echo, die Parteizeitung der SPD, wurde am 3. März verboten durch

00:04:39: die Reichsregierung, den Reichsinnenminister.

00:04:42: Und daraufhin traten die sozialdemokratischen Senatoren zurück.

00:04:45: Dann gab es ein Rumpfsenat für wenige Tage.

00:04:50: Der Bürgermeister Karl Petersen von der Deutschen Demokratischen Partei trat am nächsten Tag zurück.

00:04:56: Und dann war der Rumpfsenat noch kleiner. Und am Abend des 5.

00:05:00: März, als die Reichstagswahlen ja noch mal stattfanden, kam es dann zum Showdown,

00:05:06: auf den wir sicher noch kommen.

00:05:07: War das also der Weg dahin zu dem Showdown, auf den wir jetzt kommen,

00:05:11: war das dann aufgrund auch der Tradition der Stadt überraschend,

00:05:16: also für die Stadtgesellschaft oder dann irgendwie auch gar nicht mehr so aufgrund

00:05:20: der ganzen Ereignisse, die sich auch in anderen Teilen des Landes… Nein,

00:05:25: das zeichnete sich in der Tat ab 1931, 1932 ab.

00:05:31: Überraschend war es dann nicht.

00:05:33: Was überraschend war vielleicht, war das vermeintlich felsenfeste Positionen,

00:05:41: die ja auch die Gewerkschaften hier hatten oder die Arbeiterwohlfahrt oder so,

00:05:45: dass das doch dann sehr schnell gebröckelt ist.

00:05:49: Das ging ja selbst in der Bürgerschaftsfraktion der SPD so weit,

00:05:53: dass eine Minderheit dort sehr schnell im April 1933 ihren Übertritt zur NSDAP-Fraktion erklärte.

00:06:02: Das hätte man nicht erwartet, aber so war es wenigstens ein Teil der Minderheit.

00:06:10: Sie haben ja schon von dem Showdown gesprochen und auch von den Ereignissen,

00:06:14: die dann eins auf das andere folgte.

00:06:16: Was waren denn dann die Ereignisse, die kamen? Sie haben schon vom Echo,

00:06:20: da hat man Freizeitung gesprochen.

00:06:22: Es gab die sogenannte Echo-Versammlung.

00:06:25: Können Sie uns nochmal darstellen, welche Ereignisse dann folgten?

00:06:28: Ja, die Echo-Versammlung liegt zeitlich später.

00:06:31: Also wir halten fest, 3. März, Verbot des Hamburger Echos und Rücktritt der

00:06:37: sozialdemokratischen Senatoren.

00:06:39: Einen Tag später Rücktritt des Bürgermeisters Karl Petersen,

00:06:42: der aber auch schon von Krankheit gezeichnet war.

00:06:45: Und dann kommt der 5. März und über den Tag verlangte Berlin bereits,

00:06:50: dass ein NSDAP-Polizeipräsident eingesetzt wird.

00:06:55: Und der Senat weigerte sich zunächst, das zu tun, hatte aber am Sonntagabend

00:07:01: keine Möglichkeit mehr, vor allen Dingen nachdem die Wahllokale geschlossen

00:07:05: hatten und der Druck aus Berlin immer größer wurde, sich dem zu widersetzen.

00:07:10: Weil in der Reichstagsbrandverordnung wenige Tage vorher ja eine Ermächtigung

00:07:15: für die Reichsregierung stand, dass die Kommissare einsetzen können.

00:07:20: Und in Hamburg wurde nicht etwa ein Bürgermeister als Kommissar eingesetzt,

00:07:26: sondern, Klammer auf, nur, Klammer zu, der Polizeiherr, wie bei uns hier der

00:07:31: Polizeipräsident heißt.

00:07:33: Und das passierte an dem Abend und schon am nächsten Tag, der Rumpfsenat war ja noch am Ruder,

00:07:40: wurden die ersten Republikthronen, Polizeikommandeure abgelöst und so weiter

00:07:45: und die Nazi-Flagge flatterte auf der Polizeikaserne Bundesstraße.

00:07:53: Verhandelte die NSDAP mit den bürgerlichen Parteien, Volkspartei und Demokraten

00:07:59: über eine Koalition, die dann tatsächlich in der Woche zustande kam,

00:08:04: sodass in der Bürgerschaft Donnerstag, den 8.

00:08:08: März, ein Koalitionssenat gewählt wurde und damit war die Geschäftsführung des

00:08:16: vorhergehenden Senats beendet.

00:08:18: Das heißt, anders als in vielen anderen Ländern.

00:08:22: Wo man aus Berlin einen Kommissar einsetzte als Ministerpräsident oder Bürgermeister,

00:08:29: hat es in Hamburg eine nach der Verfassung mögliche Wahl gegeben,

00:08:33: weil sich die bürgerlichen Parteien auf eine Koalition mit der NSDAP einließen,

00:08:38: die dann einen Nicht-Parteimitglied benannten, nämlich Carl Vincent Krogmann.

00:08:44: Der war Mitglied der Handelskammer und kam aus einer alten, ehrwürdigen Familie.

00:08:48: Das war natürlich alles fake, aber der trat auch wenige Wochen später der NSDAP bei.

00:08:55: Aber so lief das Ganze ab. Und dann hat die Bürgerschaft überhaupt die Neugewählte

00:08:59: nur noch einmal oder zweimal getagt, Anfang Mai.

00:09:04: Und dann setzten die Repressionen vor allen Dingen auch gegen die SPD ein,

00:09:09: indem man das Parteibüro besetzte am 10.

00:09:13: Mai, versuchte noch Gelder dort zu requirieren. Das ging aber nicht gut,

00:09:18: weil man die vorher schon weggeschafft hatte und man fand nur noch neben der

00:09:23: späteren Senatorin Irmgard Keilhack, die die Kasse da verwaltete,

00:09:28: alte Papiere und ein paar Reichsmarkscheine vor mir nicht. Und dann...

00:09:34: Kam im Juni die Entwicklung zu der von Ihnen schon genannten Echo-Versammlung.

00:09:41: In Lübeck hatte es Bestrebungen gegeben, die dortige SPD-Zeitung Lübecker Volksbote

00:09:48: als NSDAP-Blatt fortzuführen.

00:09:52: Das passierte auch und man überlegte, ob man das in Hamburg nicht auch tun könnte.

00:09:57: Und dem Landesvorsitzenden Meitmann der SPD war ein Angebot gemacht worden.

00:10:03: Und darüber könnte man doch mal reden, ob das in Frage kommt.

00:10:06: Und insofern versammelte sich dann der SPD-Vorstand neben einem anderen Distrikt Vorsitzenden

00:10:11: im Gebäude der Landesorganisation der SPD.

00:10:14: Das lag direkt um die Ecke in der Fehlandtstraße neben dem Parteiaus.

00:10:20: Da war das der Auer-Druck, wo das Echo gedruckt wurde.

00:10:25: Tatsächlich haben die Sozialdemokraten diese Versammlung natürlich genutzt.

00:10:29: Es waren auch zwei Berliner Abgeordneten dabei, nämlich Staudinger und Dahndorf,

00:10:33: um sich über die Lage auszutauschen und zu überlegen, ob man noch weiter ins

00:10:39: Exil geht oder wie man den Widerstand organisiert.

00:10:42: Und an diesem Abend hat dann die SA diese Versammlung gestürmt und es sind alle verhaftet worden.

00:10:50: Einer konnte noch weglaufen und verhaftet heißt ins Stadthaus,

00:10:54: an der Stadthausbrücke zum Kommando zur besonderen Verwendung.

00:10:58: Das war eine Prügeltruppe der Polizei und

00:11:02: entsprechend sind Senator Schönenfelder und Heinrich Baune und Georg Rahlhoff

00:11:09: und andere misshandelt worden in den Kellern des Stadthauses und dann in die

00:11:17: Strafanzahl Fuhlsbüttel überführt worden bzw.

00:11:20: Ins Untersuchungsgefängnis, wo einige bis in den Herbst 1933 aushalten mussten.

00:11:28: Das heißt, die ECHO-Versammlung war im Prinzip die letzte größere und eigentlich

00:11:33: auch im Prinzip offizielle Versammlung der SPD hier in Hamburg?

00:11:38: Ja, offiziell war sie nicht, aber es kam der Vorstand zusammen.

00:11:44: Die Distriktsvorsitzenden und Vertrauensleute und insofern war das die letzte

00:11:49: Versammlung, da haben sie schon recht.

00:11:51: Was sich dann später entwickelt, etwa als der Bürgerschaftsabgeordnete Biedermann,

00:11:56: der ja aus dem Zug gestürzt worden war zwischen Köln und Hamburg, beerdigt wurde.

00:12:01: Dazu noch mal tausende von Anhängern auf den Ohlsdorfer Friedhof.

00:12:06: Das war natürlich offiziell, aber da konnte man sehen, dass die SPD auch immerhin

00:12:12: im Juni, Juli, August 1933 in Hamburg noch eine große Anhängerschaft hatte.

00:12:17: Hat sie es weiterhin geschafft, sich dann auch zu treffen, vielleicht im Untergrund?

00:12:23: Nur geringfügig. Immerhin, es hat in einzelnen Ortsvereinen,

00:12:28: Walter Schmiedemann ist da ein Beispiel, in Eilbek konspirative Versammlungen gegeben.

00:12:34: Die haben auch rote Blätter, wie sie das nannten, herausgegeben,

00:12:36: also Flutblätter verteilt. In Altona hat es auch Widerstand gegeben.

00:12:44: Der fluchte dann 1935 auf und dann sind 20 Altonaer Sozialdemokraten zu mehrjährigen

00:12:51: Haftstrafen verurteilt worden.

00:12:53: Und man kann sagen, dass etwa 1936 in Hamburg vom sozialdemokratischen Widerstand

00:13:01: nur noch der ISK, also der Internationale Sozialistische Kampfbund, übrig geblieben war.

00:13:07: Das war ja keine SPD-Organisation, sondern eine Vereinigung,

00:13:12: die zwischen SPD und KPD changierte, die aber sehr erfolgreich in kleinen Gruppen

00:13:18: auch in Hamburg Widerstand geleistet haben,

00:13:22: Flugblätter verteilt haben, eine vegetarische Gastete betrieben haben,

00:13:26: wo man sich treffen kann.

00:13:27: Die flogen 1936, 1937 auf,

00:13:33: weil jemand als Kurier an der dänisch-deutschen Grenze Flugblätter verloren

00:13:37: hatte und dann erwischt wurde und er hat dann, wie man so sagt,

00:13:41: gesungen in der Haft und dann ist er.

00:13:45: Einer und eine nach dem anderen dann aufgespürt worden.

00:13:49: Auch da hat es vor dem Volksgerichtshof entsprechende Prozesse gegeben.

00:13:53: Sodass man sagen kann, also nach 1937 hat es bis in den Krieg hinein,

00:14:00: in die Schlusstage, keinen Widerstand mehr gegeben.

00:14:03: Das hat die Nazis aber nicht davon abgehalten, nach dem 20.

00:14:07: Juli frühere Mandatsträger der Republik und damit auch Sozialdemokraten nochmal

00:14:13: für mehrere Wochen in Konzentrationslager zu sperren. Das ist Paula Kapinski

00:14:18: so ergangen, das ist Rechtsanwalt Ruscheweyh so ergangen und anderen auch.

00:14:22: Die sind dann aber nach mehreren Monaten freigelassen worden,

00:14:25: es sei denn, sie sind, da gibt es Einzelfälle auch, dann im KZ Neuengamme oder

00:14:31: in Buchenwald doch noch auf die letzten Meter umgebracht worden.

00:14:36: Ist es denn insgesamt gelungen, auch wenn dann nach einem bestimmten Zeitpunkt

00:14:40: es nicht mehr möglich war, Widerstand zu leisten, trotzdem in Verbindung zu bleiben?

00:14:44: Wie können wir uns das vorstellen? Es gab natürlich noch nicht die Kommunikationsmittel,

00:14:48: die wir heute so zur Verfügung haben. Viele sind nächstes Ziel gegangen.

00:14:52: Ist es gelungen, da eine Verbindung aufrechtzuerhalten? Das ist gelungen,

00:14:57: wenn auch nicht im großen Stil, aber immerhin welche Möglichkeiten gab es.

00:15:01: Ich erwähnte schon die vegetarische Gaststätte.

00:15:04: Es gab auch sonst Restaurants und Kneipen, Kleingartenvereine,

00:15:08: wo man sich traf und man machte Ausflüge.

00:15:12: Also in die Lüneburger Heide oder in die Fischbeker Heide getarnt sozusagen

00:15:17: als Wandergruppe und dort tauschte man sich fern der Gestapo und irgendwelcher Abführung aus.

00:15:27: Pflegte auch Verbindungen, das war etwas schwierig,

00:15:30: aber über Dänemark ging es relativ gut, weil die Grenze nicht ganz so stark

00:15:35: bewacht war und dann Richtung England,

00:15:37: wo ja die zunächst nach Prag, weil dann nach Paris und dann nach Großbritannien,

00:15:43: wo jeweils die Exil-SPD ja saß und Willi Eichler und Erich Ollenhauer die Fäden da zusammenbrachten.

00:15:52: Also diese Möglichkeiten und Verbindungen hat es dann immer gegeben,

00:15:57: aber je erfolgreicher letztendlich ja das NS-Regime auch war,

00:16:01: denken Sie an die 1936 die Olympiade oder 1938 die Heimkehr des Suditenlandes ins Reich.

00:16:09: Das hat ja großen Anklang bei der Bevölkerung

00:16:13: gefunden und das haben auch sozialdemokratische Rundbriefe bekundet,

00:16:18: die dann die Stimmung im Reich darstellten und offen sagten,

00:16:22: also die Arbeiter sind uns schon ganz ordentlich von der Fahne gegangen.

00:16:25: Vielen Dank schon für die Eindrücke, die wir bekommen haben zum Widerstand zu

00:16:30: Beginn noch und auch zur Verfolgung.

00:16:32: Ich möchte gerne zum späteren Zeitpunkt noch weiter darüber sprechen und vor

00:16:36: allem auch weiter darüber, wie es dann weiterging. Also Kontakt konnte teilweise

00:16:40: gehalten werden, aber ich möchte vor allen Dingen auch darüber sprechen,

00:16:43: wie es weiterging auch nach dem Ende der Nazi-Herrscher.

00:16:46: Aber wie in unserem Podcast üblich, möchten wir gerne auch mehr über unseren Gast erfahren.

00:16:51: Und einen ersten Eindruck möchten wir über Friedrich Fragt bekommen.

00:16:56: Friedrich fragt, heißt, dass ich Ihnen jetzt ein paar Fragen stelle,

00:17:00: entweder oder Fragen und ich würde Sie bitten, ganz spontan zu antworten.

00:17:05: Erst einmal zum Aufwärmen, schwarzer Tee oder Kaffee? Kaffee.

00:17:09: Ganz klar. Läuft bei Ihnen im Fernsehen eher ein Spielfilm oder eine politische

00:17:14: Talkshow? Eine politische Talkshow.

00:17:17: Was lesen Sie mehr, Romane oder Sachbücher? Sachbücher.

00:17:21: Schreiben Sie lieber eine E-Mail oder einen Brief? Einen Brief.

00:17:25: Das habe ich schon gedacht.

00:17:27: Sind Sie Eule oder Lärche? Ja, das ist nicht ganz so einfach.

00:17:31: Ich würde mal sagen Lärche.

00:17:33: Wenn Sie nicht Jurist geworden wären, wären Sie lieber Journalist oder Lehrer geworden?

00:17:39: Lehrer habe ich auch ernsthaft erwogen für Geschichte und Französisch,

00:17:44: aber ich wollte mich nicht von Quartanern mit Kreide bewerfen lassen im Unterricht.

00:17:48: Da habe ich gedacht, dann mache ich doch was anderes.

00:17:51: Dann Jurist. Ja. Jetzt noch zwei Klassiker hier, Alster oder Elbe? Elbe.

00:17:57: Nordsee oder Ostsee? Nordsee. Da haben wir schon einiges über Sie erfahren.

00:18:01: Vielen Dank für die spontanen Antworten. Gerne möchte ich Sie aber noch ein bisschen mehr wissen.

00:18:06: Sie sind ja 1948, das heißt nicht lange nach dem Zweiten Weltkrieg geboren.

00:18:11: Und Sie haben auch schon in Ihrer Kindheit mehrere Menschen getroffen,

00:18:14: die während der NS-Zeit verfolgt wurden.

00:18:16: Wie hat Sie das aufwachsende Nachkriegszeit und auch eben diese Begegnung geprägt?

00:18:21: Ja, ich glaube, das hat mich schon sehr geprägt. Ich bin in etwas unordentlichen

00:18:26: Verhältnissen zunächst groß geworden, weil meine Eltern nicht geheiratet hatten.

00:18:30: Meine Mutter ist eine evangelische Pfarrerstochter und mein Vater ein katholischer.

00:18:35: Ich war Biologiestudent in Göttingen und das ging offensichtlich nicht so gut,

00:18:39: als dass man sich für das ganze Leben verbinden wollte.

00:18:42: Und nach einem Interim bin ich dann in einem Haushalt einer sozialdemokratischen

00:18:48: Bürgerschaftsabgeordneten gelandet, bei der meine Mutter dann auch Wirtschaftlerin

00:18:53: war für deren Sohn. Das war eine Kriegerwitwe.

00:18:56: Die hatte Widerstand geleistet in dem von mir schon erwähnten Internationalen

00:19:01: Sozialistischen Kampfbund und war 1936 verhaftet worden, als diese Gruppe auffloh,

00:19:11: als sie als landwirtschaftliche Buchführerin bei Bremen tätig war und ist dann

00:19:15: vom Volksgerichtshof zu anderthalb Jahren Haft verurteilt worden.

00:19:20: Und das spielte dann natürlich eine Rolle, die hat sich dann 1945 der SPD angeschlossen,

00:19:26: hat hier das sogenannte Frauensekretariat geführt und deshalb war schon natürlich,

00:19:32: wenn es um das Thema Gefängnis oder um das Thema Haft oder um das Thema Nazizeit ging.

00:19:39: Wurde darüber gesprochen, wenn auch nicht so breit und öffentlich oder öffentlichkeitswirksam,

00:19:46: wie man das heute sich hätte vorstellen können.

00:19:48: Ich bin an der Landesgrenze zwischen Rissen und Wedel groß geworden und auf

00:19:53: der Wedeler Seite waren ja eine Fülle von Flüchtlingsunterkünften für Ostbrüchen,

00:19:58: Pommand, Schlesien und dass eine davon ein KZ-Außenlager war,

00:20:03: das haben wir nicht erfahren.

00:20:06: Und auch ich erst später bei Gegenvergessen für Demokratie.

00:20:10: Also insofern wurde das selbst in dem Haushalt, in dem ich da aufgewachsen bin bis zum 11.

00:20:16: Lebensjahr, wurde so etwas dann nicht weiter verbreitet.

00:20:19: Aber es war schon klar, dass man wusste, wer von den Nachbarn,

00:20:23: das war so ein kleines Siedlungsgebiet, wer

00:20:26: In der NSDAP war und wer Persilscheine erbeten hatte, das war natürlich auch so.

00:20:33: Ja, und da gab es zwei Taxiunternehmer in Rissen. Einer war Sozialdemokrat und

00:20:37: einer war als Hitlerjunge bei der NSDAP ganz aktiv gewesen.

00:20:42: Und wenn nur die Taxi von dem Letzteren am Bahnhof stand, ich bin selten genug

00:20:46: mit der Taxi, wurde nicht bis liegen und zu Fuß gegangen.

00:20:49: Und mit dem fahren wir nicht. Und das hat einen natürlich schon geprägt.

00:20:53: Hatte dann Ihre Entscheidung, Jura zu studieren, auch was damit zu tun?

00:20:58: Nein, sondern die hatte eher damit mittelbar.

00:21:02: Der schon erwähnte Sohn von Martha Damkowski, ich sage mal mein älterer Bruder,

00:21:08: wenn man so will, wenn man gemeinsam aufgewachsen ist, der hatte nach dem Abitur

00:21:11: ein Jurastudium begonnen.

00:21:13: Der war sechs oder sieben Jahre älter als ich und da guckte ich natürlich schon

00:21:16: immer drauf, was da so passiert, fand ich sehr interessant.

00:21:19: Auch in der Oberstufe bei uns in der politischen Arbeitsgemeinschaft mit Fragen

00:21:24: der Verfassung sich zu beschäftigen und dann war das da die wilde Zeit,

00:21:28: 67, 68, also Benno Ohnesorg und Studentenunruhe und so.

00:21:33: Aber ich habe neigte an sich zur Geschichte und Französisch.

00:21:37: Mit Lehre hatte ich keine Lust und dass ich mal Professor werde,

00:21:41: das war ja nicht zu erwarten.

00:21:42: Und dann habe ich gedacht, dann kann man mit der Juristerei mehr anfangen.

00:21:46: Ich wollte nie Anwalt werden, um andere Leute Prozesse zu führen,

00:21:50: sondern wenn Verwaltungsrichter oder was noch schöner wäre.

00:21:54: Bei der Verwaltung, bei der Hamburger Verwaltung vor allen Dingen in Baufragen

00:21:58: und so zu arbeiten, was mir dann ja auch am Ende, bis ich Bezirksamtsleiter

00:22:04: wurde, gelungen ist. Genau, das ist Ihnen gelungen.

00:22:07: Sie sind in Hamburg aufgewachsen und Sie waren dann im Studium,

00:22:09: mal eine Zeit in Freiburg, in Breisgau, aber dann sind Sie auch wieder zurückgekommen,

00:22:13: um eben in Hamburg als Verwaltungsjurist tätig zu werden.

00:22:17: Sie waren dann Bezirksamtsleiter und Staatsrat.

00:22:21: Was bedeutet diese Stadt für Sie? Ja, das ist ja ein etwas abgedroschener Begriff,

00:22:26: aber sie bedeutet natürlich schon auch Heimat und eine Historie,

00:22:33: auf die Hamburg ja auch stolz sein kann.

00:22:35: Das mit dem Zurückkommen von Freiburg hat auch mit dem juristischen Examsbedingungen zu tun.

00:22:42: In Freiburg müsste man nämlich im Referendarexamen neun Klausuren schreiben,

00:22:47: darunter eine Märchenklausur.

00:22:49: Und in Hamburg konnte man eine Hausarbeit schreiben und vier Klausuren oder zunächst drei.

00:22:54: Und das lag mir mehr. Also das Arbeiten mit Fußstunden und Literatur und so,

00:22:59: das fand ich interessanter, als auf irgendwelche Zufallsergebnisse in Klausurfällen

00:23:05: zu setzen, bei denen man fünf Stunden Zeit hat und zum Teil noch viel auf dem

00:23:10: Füllfederhalter kauen muss.

00:23:11: Und das war der Grund, dass ich sagte, also da gehe ich lieber nach Hamburg

00:23:15: zurück. Im Übrigen war es natürlich auch eine Geldfrage.

00:23:17: Mein bescheidenes Honefa-Modell, das es ja noch gab, oder dann Bafög,

00:23:22: das reichte ja vorn und hinten nicht.

00:23:24: Insofern habe ich dann immer als Postbote beim Postamt Hamburg-Othmarschen gearbeitet

00:23:29: und kenne dafür noch heute ja jede Nebenstraße in den Elbforten dazu.

00:23:34: Das erklärt natürlich noch mehr, warum Sie Hamburg so mit kennen.

00:23:38: Sie sind dann in verschiedenen Tätigkeiten gewesen,

00:23:43: aber Sie haben sich auch immer engagiert und ich habe es schon gesagt,

00:23:48: Sie sind vorher der Regionalgruppe dagegen vergessen, aber Sie engagieren sich

00:23:51: auch in der Kirche und anderweitig zivilgesellschaftlich.

00:23:54: Was treibt Sie an, sich so zu engagieren? Ja, das ist erklärbar auch schon aus

00:23:59: der Bezirksamtsleiterzeit.

00:24:02: Ein Bezirk wie Altona, der, ich sag mal, vom vornehmen Falkenstein bis an die

00:24:08: Grenze zur Reeperbahn ja eine sehr heterogene Bevölkerung hat,

00:24:12: dafür tätig zu werden und sowohl mit der Hotvolee, aber auch mit den Bauwagenbewohnern auszukommen,

00:24:19: das hat mich schon immer gereizt.

00:24:22: Und dass man es nicht nur paragrafenmäßig macht, was der Jurist ja vielleicht

00:24:26: auch gerne tut, sondern dass man in der Kommunalpolitik was anfassen kann und

00:24:31: sieht, was man erreicht und auch was man nicht erreicht. Das hat mich an sich immer getrieben.

00:24:35: Und dann gab es ja 2001 bekanntlich in Hamburg einen Regierungswechsel.

00:24:40: Herr von Beust, Herr Schill und Herr Lange von der FDP übernahmen den Senat.

00:24:45: Und wenn sie politischer Beamter sind, dann geht das nur vielleicht ein,

00:24:48: zwei Monate gut, aber dann wird man in den einstweiligen Ruhestand versetzt.

00:24:52: Und die Kirche, ich war vorher in der Kirchenkreis-Synode Altona,

00:24:56: weil ich mit dem dortigen Probst ABM-Projekte betrieben habe.

00:25:01: Die sagte, jetzt hast du ja Zeit.

00:25:02: Das stimmte zwar so nicht, aber dann habe ich sozusagen einen Kaltstart gemacht

00:25:07: und auf der Landessynode im September 2003 gegen eine Mitbewerberin,

00:25:13: eine Realschullehrerin aus Flensburg mit zehn Stimmen Vorsprung gewonnen und

00:25:18: wurde dann Präsidenten.

00:25:20: Der Synode, und ich habe in meiner Bewerbungsrede gesagt, also fromm bin ich

00:25:25: zwar leidlich, aber nicht so, dass ich hier nun jeden Kirchengesang ohne

00:25:30: weiteres mitmache, aber von Verwaltung verstehe ich was.

00:25:33: Und wenn die Kirche sparen muss und wie man Strukturen verändert.

00:25:36: Und das hat offensichtlich eine Mehrheit überzeugt.

00:25:40: Und Nordelbien ist dann ja mit Mecklenburg und Pumann zusammen eine Fusion eingegangen

00:25:46: und da war ich Mitglied in der Steuerungsgruppe.

00:25:48: Und wie man sowas macht, das hatte ich gelernt.

00:25:51: Und das war eine sehr erfüllende Tätigkeit bis 2012.

00:25:55: Und bei Gegenvergessen war es so, diese Vereinigung hatte sich 1993 gebildet

00:26:02: und der frühere Bürgermeister Peter Schulz hat mich dann auch,

00:26:05: nachdem ich aus dem Senat ausgeschieden war, gefragt,

00:26:08: wir brauchen noch in Hamburg einen Sprecher,

00:26:11: denn den gibt es nur in Schleswig-Holstein.

00:26:13: Und dann haben wir das hier als regionale Arbeitsgruppe aufgezogen und sich

00:26:19: sowohl mit der NS-Zeit, aber auch mit der SED-Diktatur zu befassen.

00:26:24: Das fand ich sehr herausfordernd. Ich habe nicht nur Jura studiert.

00:26:28: Sondern irgendwo muss das Geschichtspobjekt seinen Platz finden.

00:26:32: Ich habe schon 1968, 1969 in den ersten Semestern neuere Geschichte und damit

00:26:38: die Geschichte der Sowjetzone und der DDR hier in Hamburg betrieben.

00:26:43: Insofern, das war ein großer Vorteil, als die Fusion nachher da mit Mecklenburg kam.

00:26:47: Ich wusste ja, was eine Betriebsgewerkschaftsleitung ist und ich wusste,

00:26:51: wenn man sagt, seid ihr bereit, allzeit bereit oder wenn man sagt,

00:26:55: immer bereit für Frieden und Sozialismus. Das hatte ich alles gelernt.

00:26:59: Ich wusste, wer Ulbrichten war und wie das mit der SED gelaufen war und dem neuen Kurs.

00:27:04: Das ist mir zustatten gekommen und das passte natürlich auch bei Gegenvergessen

00:27:07: ganz gut, weil es ja westdeutsche Landesverbände gibt, zum Beispiel in Nordrhein-Westfalen

00:27:13: oder auch in Rheinland-Pfalz.

00:27:14: Für die war ja die DDR und Ulbricht und Honecker relativ weit weg,

00:27:19: wenn das für uns in Hamburg und Schleswig-Holstein ja nicht so war.

00:27:22: Da hätten wir schon das nächste Podcast-Thema wahrscheinlich,

00:27:25: worüber wir nochmal länger sprechen könnten. Gerne. Danke für diese Eindrücke.

00:27:30: Sie haben gerade schon gesagt, als Jurist waren Sie auch eben für andere Tätigkeiten

00:27:34: dann sehr geeignet, vor allem wenn es um Strukturen ging und Fusionen.

00:27:38: Als Jurist in Altena, ich habe in dem Wikipedia-Artikel über sie gelesen,

00:27:44: da steht drin, elf Jahre saßen sie am Schreibtisch von Max Brauer.

00:27:50: Max Brauer ist natürlich jetzt eine sehr bekannte Persönlichkeit aus der Zeit,

00:27:55: über die ich jetzt noch sprechen möchte und zwar darüber, wie es denn weiterging.

00:27:58: Also wie es nach Ende des Nazi-Regimes in Hamburg weiterging und wie es eben

00:28:03: auch für die Sozialdemokratie hier weiterging.

00:28:05: Wie ist der Neustart für die SPD dann hier genommen? Ja, der Neustart ist zunächst

00:28:11: etwas holperig gewesen.

00:28:13: Die Engländer waren ja am 3. Mai in Hamburg eingezogen und schon wenige Tage

00:28:18: später hatten Sozialdemokraten oder auch ISK-Leute,

00:28:22: zum Beispiel Helmut Kalbitz und andere, den britischen Kommandanten aufgesucht

00:28:26: und gesagt, wir wollen jetzt eine Partei wieder gründen.

00:28:29: Und die Engländer saßen, das käme gar nicht in Frage.

00:28:32: Aber eine Gewerkschaft könnt ihr machen. Und das passierte auch,

00:28:35: die sozialistische freie Gewerkschaft, aber die ließ sich von den Engländern nichts sagen.

00:28:40: Das waren im Grunde verkappte Sozialdemokraten und das dauerte wenige Wochen

00:28:45: und dann wurde die verboten. Und dann gab es sozusagen natürlich Treffen von

00:28:50: Sozialdemokraten, die wieder aus den Löchern herausgekommen waren.

00:28:54: Aber das war nicht offiziell.

00:28:55: Die ersten offiziellen Parteigründungen nach dem Krieg waren ja in der sowjetischen Besatzungszone am 11.

00:29:02: Juni. Und die Sowjets haben vier Parteien zugelassen, nämlich die SPD,

00:29:07: die KPD, die LDPD, also die Liberalen und die spätere CDU.

00:29:13: In Hamburg dauerte das noch bis in den September hinein oder August,

00:29:19: September 1945 hinein, bis sich die Engländer, die schon vorhatten,

00:29:25: eine Bürgerschaft wiederbeleben zu lassen, aber nicht so wie vor 1933 mit Wahlen,

00:29:32: sondern als eine Art Standesparlament.

00:29:35: So passierte es dann ja auch im Februar 1946 und da waren dann die SPD schon

00:29:41: wieder zugelassen und auch die KPD und CDU,

00:29:45: aber die hatten keineswegs eine Mehrheit, sondern wenn man sich die Liste der

00:29:49: ersten ernannten Bürgerschaft vom Februar 1946 ansieht.

00:29:54: Dann sind da Hausfrauenverbände, die

00:29:56: Kirchen, die Gewerkschaften und die Holzarbeiter und was weiß ich alles.

00:30:00: Und die Politiker waren eindeutig zunächst in der Minderheit.

00:30:06: Das änderte sich aber im Laufe des Jahres 1946.

00:30:10: Es wurde ja eine vorläufige Verfassung verabschiedet von dieser ernannten Bürgerschaft

00:30:15: und die lief ja letztendlich auf Wahlen und auf Wahlen.

00:30:20: Gewaltenteilung hinaus, was dann ja am 13.

00:30:24: Oktober 1946 auch passierte. Und dafür brauchte man einen als SPD-Spitzenkandidaten

00:30:31: und den hatte man zunächst nicht.

00:30:33: Max Brauer war ja in einer amerikanischen Uniform hier als Gewerkschaftsvertreter

00:30:39: aus den USA auch nach Hamburg gekommen mit Freunden,

00:30:44: die auch aus Altona emigriert waren 1933 und er ist dann von den Sozialdemokraten

00:30:51: angesprochen worden und hat sich dann etwas bedeckt gehalten,

00:30:55: aber im Grunde zu erkennen gegeben,

00:30:58: wenn ich Oberbürgermeister in Altona neun Jahre konnte, dann kenne ich auch

00:31:02: Bürgermeister in Hamburg.

00:31:04: Und dann ist bei den Wahlen aber nicht etwa mit Brauer als Spitzenkandidat geworben

00:31:09: worden, sondern die SPD war mit politischen Parolen.

00:31:13: Zum Beispiel war sie für Planwirtschaft. Das kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen.

00:31:18: Und dann hat nach den Wahlen ist dann Brauer gebeten worden und hat sich auch

00:31:24: bereit erklärt, den Senat zu bilden.

00:31:27: Er wollte erst eine große Koalition, die CDU wollte aber nicht so recht,

00:31:32: weil ihr in der Schulpolitik und in anderen ideologischen Dingen das nicht passte.

00:31:37: Und so hat Bauer dann einen Senat aus SPD, KPD und FDP gebildet, der dann in Gang kam.

00:31:45: Und die ersten Jahre sind natürlich vom Hunger, von der Bombenzerstörung,

00:31:51: vom Wiederaufbau geprägt gewesen. Aber da haben sich Sozialdemokraten eingebracht.

00:31:56: Herr Schönfelder wurde zweiter Bürgermeister, der ja in der Weimarer Republik

00:32:03: Innensenator gewesen war.

00:32:05: Und wir haben dann auch zwei kommunistische Senatoren gehabt,

00:32:09: die die Engländer zunächst aber nicht ernannt haben.

00:32:11: Aber nachher haben sie dann damit doch auch ihren Frieden gemacht.

00:32:14: Das war ein Gesundheitssenator und einer, der war nicht verwohnungsbar,

00:32:19: aber für irgendwelche sozialen Bereiche zuständig. Gibt es noch weitere Personen,

00:32:23: die wichtig waren, also die nach dem Krieg dann.

00:32:28: Eine wichtige Rolle gespielt haben in der Hamburger Politik?

00:32:31: Ja, da muss man auf jeden Fall Paul Nevermann nennen, der ja Nachfolger von Brauer 1960 wurde.

00:32:38: Er ist aber schon 1946 Bausenator und dann auch Bezirkssenator gewesen und hat

00:32:46: große Verdienste im Bauwesen und vor allen Dingen große Verdienste während der

00:32:52: Bürgerblockzeit gehabt.

00:32:54: Die zweiten Wahlen nach 1949, also 1953, gingen ja für die SPD verloren,

00:33:01: wenn auch knapp, weil sich alle bürgerlichen Parteien zusammengeschossen hatten

00:33:06: zum sogenannten Hamburg-Block.

00:33:07: Und der hatte die Mehrheit und Bauer wollte nicht zurücktreten.

00:33:11: Aber die Bürgerschaft konnte ja dann mit Mehrheit Herrn Siebeking wählen.

00:33:16: Und dann hat Bauer gesagt, ich mache aber nicht einen Fraktionsvorsitzenden

00:33:19: der Oppositionspartei. Das kommt gar nicht in Frage.

00:33:21: Das habe ich nicht nötig. Bauer war ja sehr autokratisch und als Oberbürgermeister in Altonar.

00:33:26: Und Paul Nevermann hat gesagt, mach ich das und hat dann vier Jahre sehr erfolgreich

00:33:31: die Oppositionsfraktion geführt,

00:33:34: sodass 1957 die SPD wieder die absolute Mehrheit hat und dann Brauer nochmal

00:33:39: herangelassen hat und gesagt hat, Max, keine vier Jahre.

00:33:42: Und es wurden dann drei Jahre und dann wurde er sehr unsanft aus dem Amt von

00:33:48: den eigenen Leuten gebracht.

00:33:51: Und dann ist Nevermann fünf Jahre Bürgermeister gewesen.

00:33:54: Bis er 1965 wegen der sogenannten Queen Elisabeth Affäre, wo er ja nicht mit

00:34:01: seiner Gattin, sondern der Frau des zweiten Bürgermeisters Prinz Fieland und

00:34:06: Königin Elisabeth hier empfanden hat.

00:34:09: Denn das war natürlich in der prüden SPD nun gar nicht angebracht.

00:34:13: Und dann vor ihm, Herbert Weichmann. Das war ein Skandal. Das war ein Skandal.

00:34:18: Jetzt würde ich gerne zum Ende nochmal auf eine Frage eingehen,

00:34:21: die mich immer wieder umtreibt.

00:34:23: Einige der Sozialdemokraten, von denen Sie gesprochen haben, wurden ja auch

00:34:27: Vor Gerichten verurteilt. Die SPD und andere Parteien wurden verboten.

00:34:30: Es gab weitere Gesetze und in Anführungsstrichen Rechtsprechung.

00:34:35: Das heißt, Unrecht wurde in vielen Fällen gerichtlich oder gesetzlich begründet.

00:34:39: Heute sprechen wir wieder mehr über die Möglichkeiten von demokratischen Institutionen,

00:34:43: auch im Sinne einer wehrhaften Demokratie zu wirken.

00:34:47: Und gleichzeitig sehen wir in anderen Ländern die Institutionen,

00:34:49: die eigentlich als rechtsstaatlich geschaffen wurden, auch übergangen werden

00:34:54: oder benutzt werden können, sogar für undemokratische Ziele.

00:34:58: Was meinen Sie, auch gerade als Verwaltungsjurist, was sind die Lehren,

00:35:02: die wir auch in Zukunft bedenken müssen, damit unsere Institutionen nicht nur

00:35:06: den Rahmen geben, sondern auch zukünftig Rechtsstaatlichkeit und Demokratie

00:35:10: wirklich sichern können?

00:35:12: Ja, das ist ja ein ganz wesentliches Ziel auch von gegen Vergessen für Demokratie.

00:35:18: Wir haben uns also so ein bisschen, auch wenn man auf den Bundesverband guckt,

00:35:22: wegbewegt, nicht von der NS-Geschichte und der SED-Geschichte generell,

00:35:28: aber doch hin zu der Frage, was bedeutet für Demokratie.

00:35:33: Das bedeutet eben für Rechtsstaat, das bedeutet gegen Rechtsextremismus und

00:35:39: da sind ja Erscheinungen überall zu verzeichnen, denen man entgegentreten muss.

00:35:44: Und Polen, Ungarn zeigen, dass es immer die Versuchung gibt,

00:35:52: neben der Presse die unabhängige Gerichtsbarkeit auszuschalten oder zu schwächen.

00:36:00: Und das ist ja eine der großen Lehren, auch aus der Zeit von 1933 bis 1945,

00:36:06: dass eine unabhängige Gerichtsbarkeit, die auch natürlich manchmal,

00:36:11: das war ja auch zu meiner Zeit so, dem Senat nicht gefallen hat,

00:36:15: wenn man reinfällt, bei Gericht ist immer nicht schön.

00:36:17: Aber wenn diese dritte Säule unserer Gewaltenteilung nicht funktioniert.

00:36:23: Dann ist es mit dem Rechtsstaat auch nicht mehr weit her.

00:36:26: Und die Gerichtsbarkeit, das OEG Hamburg während der NS-Zeit oder der Volksgerichtshof

00:36:32: und auch die kleineren Gerichte, die geben mir ein Beispiel dafür, wie man...

00:36:39: Im Grunde genommen die Rechtsprechung verbogen hat und wie man durch Richterbriefe

00:36:45: es erreicht hat, wie strafrechtlich vorgegangen wird, auch zivilrechtlich in

00:36:51: Mietprozessen gegen jüdische Vermieter und so.

00:36:54: Das ist alles sehr gut dokumentiert im OLG Hamburg-Bezirk. Und dagegen muss

00:37:00: man immer wieder aufstehen, dass das nicht passiert.

00:37:03: Aber ich bin mir bei der Gerichtsbarkeit an sich relativ sicher,

00:37:08: vor allen Dingen dadurch, dass wir ja inzwischen ein Verfassungsgericht auf

00:37:11: Bundesebene haben, das diese Grundsätze hochhält. Vielen Dank.

00:37:16: Am Ende der Sendung senden wir immer eine Flaschenpost an die Zukunft.

00:37:21: Also Ihre Nachricht an die Zukunft, was schreiben Sie rein?

00:37:25: Was würden Sie zukünftigen Generationen sagen, warum Sie sich bei Organisationen

00:37:29: wie Gegenvergessen engagieren sollten? Ja, den würde ich sagen,

00:37:34: noch wichtiger als gegen Vergessen ist für Demokratie.

00:37:39: Dafür lohnt sich immer ein Eintreten und die Geschichte beweist ja,

00:37:45: wie wichtig das war und dass wir.

00:37:49: 80 Jahre jetzt ohne Krieg wenigstens in Zentraleuropa und bei uns leben,

00:37:55: hat auch damit zu tun, dass man eben gewöhnt ist,

00:38:00: dass es demokratische Regierungswechsel geben kann, dass es eine unabhängige Rechtsprechung gibt.

00:38:06: Und gerade mit Schülern und jungen Leuten zu diskutieren über diese Fragen,

00:38:12: ist immer wieder sehr herausfordernd, macht aber auch großen Spaß.

00:38:16: Und ja, der Tipp, nicht nur aufs Handy zu gucken und in die sozialen Medien,

00:38:22: ist natürlich von einem alten Mann jetzt ausgesprochen, der aber in diesen Dingen

00:38:28: immer noch sehr holperig nur zurechtkommt. Die schicken wir los, die Flaschenpost.

00:38:32: Und damit sind wir auch am Ende der 88.

00:38:36: Folge von Friedrichs Flaschenpost, dem Politik-Podcast aus Norddeutschland,

00:38:40: der Friedrich-Ebers-Stiftung.

00:38:41: Danke euch, liebe Hörerinnen und Hörer, und danke Ihnen, lieber Herr Strenge.

00:38:45: Wir sprachen heute mit Hans-Peter Strenge, Staatsrat AD und Sprecher der regionalen

00:38:49: Arbeitsgruppe Hamburg von Gegenvergessen für Demokratie e.V.

00:38:54: Und zum Schluss noch ein Werbeblock. Im September organisieren wir erneut gemeinsame

00:38:58: Gegenvergessen an Stadtrundgang zu Orten der Verfolgung und des Widerstands

00:39:02: von SozialdemokratInnen in Hamburg.

00:39:05: Und Herr Strenge, Sie werden den Stadtrundgang wieder leiten.

00:39:08: Also da kann man noch viel mehr zu dem heutigen Thema erfahren.

00:39:11: Schaut also gerne auf unsere Webseite oder unseren Instagram-Kanal für die Terminankündigung

00:39:16: und dann zu gegebener Zeit auch für die Anmeldung.

00:39:19: Tschüss und bis zur nächsten Folge, sagt Stine Klapper von der Friedrich-Ebert-Stiftung.

00:39:24: Macht es gut, schaut auch so noch einmal in unserem Veranstaltungskalender gerne

00:39:28: auf unsere Webseite und natürlich bleibt politisch.

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